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Die alte Glacis-Kapelle, ein mythologischer Ort
Ein Beitrag von Georges Hellinghausen - Erzbischof Jean-Claude Hollerich besichtigte die Fundamente der alten Kapelle
Am 10. Mai 1628 war sie vom Trierer Weihbischof Georg von Helffenstein konsekriert worden: die alte Glacis-Kapelle, in der Pater J. Brocquart, Studienpräfekt am Luxemburger Jesuitenkolleg, das Gnadenbild der Trösterin der Betrübten aufgestellt hatte. Zunächst war die Statue von einer Studentengruppe dort auf dem freien Glacis-Feld vor den Stadtbefestigungen am 8. Dezember 1624 an einem Holzkreuz befestigt worden. Da es Anziehungspunkt für Pilger und immer mehr Pilger wurde, begann P. Brocquart mit dem Bau einer Kapelle. Das war 1625, in Zeiten von Not, Pest und Krieg. Als der Jesuit selbst an der Pest erkrankte, machte er das Gelübde, die Kapelle umso eifriger fertigzustellen, wenn er genese. Das trat ein, und so entstand die Glacis-Kapelle, erstes Zuhause der Trösterin.
Da der Zulauf der Pilger stetig anwuchs, auch spektakuläre Heilungswunder und auffallende Gebetserhörungen sich einstellten, musste der ursprüngliche Kuppelbau bereits ab 1640 durch einen rechteckigen Anbau vergrößert werden.
An der Wiege unserer Oktave
Die Glacis-Kapelle ist der Ursprungsort unserer Oktave: Hier fanden bereits sehr früh die ersten Oktaven, d.h. Pilgerzeiten von acht Tagen zu Ehren der Trösterin der Betrübten statt, so etwa belegt für 1632. Bald bürgerte sich die Sitte ein, die Statue für die Zeit solcher Oktaven bzw. auch wenn der Stadt Gefahren drohten, (militärische und andere), zur Verehrung in die innerstädtische Jesuitenkirche zu tragen und danach wieder zurück in die Kapelle vor dem Neutor. So entstand die Schlussprozession der Oktave, die bis heute Abschluss und Höhepunkt unserer jährlichen Pilgerzeit ist. Diese wurde im Lauf der Zeit zunächst auf anderthalb Wochen (1898), schließlich auf zwei Wochen (1921) aufgestockt, um die Pilgerzahl besser zu kanalisieren. Zwischendurch war die Trösterin, wie gewusst, zur Patronin der Stadt (1666) und des Landes Luxemburg (1678) erwählt worden – was der Oktave mächtigen Auftrieb gab.
Die Glacis-Kapelle wurde zu einem mythologischen Ort. Im 17.-18. Jahrhundert wurde sie systematisch auf den Consolatrix-Darstellungen, besonders den Stichen von Collin, Weiser, Kaeyll, Gebrüder Klauber u. v. a. oder den Andachtsbildchen (etwa das von Kevelaer, aus dem Jahr 1640) neben der Muttergottes, im Hintergrund und meist mit Pilgergruppen oder Prozessionen, abgebildet. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde sie profaniert und schließlich abgerissen (1796). Seit 1794 steht das Gnadenbild der Trösterin endgültig in der alten Jesuitenkirche, der heutigen Kathedrale. 1885 wurde in Anlehnung an die alte eine neue, neogotisch konzipierte Glacis-Kapelle als Friedensheiligtum am Boulevard Joseph II errichtet.
Steine, die sprechen
Bereits bei Straßenbauarbeiten 1913 waren die Fundamente der alten Kapelle entdeckt und aufgenommen worden. Jetzt haben wir sie wiederentdeckt, im Rahmen von Tram-Arbeiten, präzise am Sonntag der Barmherzigkeit des Hl. Jahres der Barmherzigkeit 2016 (3. April), im marianischen Jubiläumsjahr, wo wir der Erwählung der Stadtpatronin vor 350 Jahren gedenken, kurz vor Beginn der Oktave. Die Überreste wurden der Presse vorgestellt – Zufall? Fügung? – am Fest Maria Verkündigung, das dieses Jahr wegen Ostern am Montag, 4. April, liturgisch gefeiert wurde. „Marie nous fait signe“, schrieb mir eine kirchliche Mitarbeiterin.
Die Grundmauern der Rotunde liegen, so zeigen die Pläne von 1913, unter der Allée des Résistants et des Déportés (sic), das Rechteck unter dem jetzigen Bürgersteig vor der Friedhofsmauer, Sakristei und Gang dahinter – der „Notre-Dame“-Friedhof entstand um 1690 und wurde ein knappes Jahrhundert später, als Kaiser Joseph II. das Bestatten in den Kirchen verbot, zum offiziellen Stadtfriedhof (Nikloskierfecht).
Der Pariser Louvre zeigt derzeit eine Ausstellung zum Thema „La poétique des ruines“. Die Betrachtung der alten Steine auf dem Glacis lässt vieles hochkommen: Hunderttausende, sehr oft existenziell beladene Menschen, sind vor Jahrhunderten an diese heilige Stätte gewallfahrtet. Sie wird mit Hochachtung auf den alten Stichen als „sacellum Societatis Jesu“ (Heiligtum der Gesellschaft Jesu) angegeben, in dem „Maria, Mater Jesu, Consolatrix Afflictorum, Patrona Civitatis et Patriae Luxemburgensis... miraculis clara“ (Maria, Mutter Jesu, Trösterin der Betrübten, Patronin von Stadt und Heimat Luxemburg, berühmt wegen der geschehenen Wunder) verehrt wurde. Luxemburg wusste seiner vielfältigen Nöte damals Herr zu werden, indem die anstehenden Probleme auch in einem größeren Sinnhorizont gesehen, angegangen und gelöst wurden. Das begann vor nunmehr fast 400 Jahren, an jenem mythischen Ort...
Wenn Steine sprechen könnten! Diese Steine sprechen!
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