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Was sucht ihr? Kommt und seht!
Kommentar zum 2. Sonntag im Jahreskreis von Danièle Faltz (14.01.2024)
Das erste Wort Jesu, das uns das Johannesevangelium überliefert, ist eine Frage: „Was sucht ihr?“ Er richtete sie an zwei Jünger, die hinter ihm hergingen, weil Johannes der Täufer auf ihn hingewiesen hatte. „Was sucht ihr?“ Diese Frage stelle ich mir immer wieder, wenn ich in einer Menschenmenge unterwegs bin, z.B. auf dem Weihnachtsmarkt oder im Tram. Was suchen all diese Menschen, was treibt sie an, wofür oder für wen leben sie, was gibt ihrem Leben Sinn? Eine existentielle Frage, die uns allen gestellt ist.
Geld? Jeder weiß aus Erfahrung, dass Geld zwar nötig und nützlich ist, aber nicht wirklich glücklich macht. Ansehen? Kaum etwas ist so vergänglich und zerbrechlich. Macht? Normalerweise geht Macht mit Einsamkeit einher. „Was sucht ihr?“, fragt Jesus auch uns. Es ist eine sehr ernste Frage, besonders in schwierigen Zeiten, in denen wir uns jeden Tag mit Gewalt, Ungerechtigkeit und Armut auseinandersetzen müssen. Was treibt Menschen an, andere mit Gewalt zu unterdrücken, was bewegt andere, sich mit ganzer Hingabe für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität einzusetzen?
Die beiden jungen Männer antworten mit einer Gegenfrage: „Wo wohnst Du?“. Das Wort „wohnen“ kommt bei Johannes sehr oft vor. Wohnen, zuhause sein, bleiben, eins sein mit, geborgen sein. Vielleicht liegt in diesem Interesse für „ den Wohnort“ ganz einfach das Anliegen: wir möchten dich besser kennenlernen. Unsere Wohnung, soweit wir sie frei gestalten können, ist ja auch Ausdruck unserer Persönlichkeit. Im späteren Verlauf seines Evangeliums wird Johannes immer klarer zeigen, dass Jesus in Gott zuhause ist, und dass der tiefste Sinn seines Lebens darin besteht, auch uns in diese Wohnung der ewigen Liebe Gottes einzuladen, mitzunehmen.
Diese Einladung erhalten Andreas und sein Freund auf der Stelle: „Kommt und seht!“, sagt Jesus, und sie blieben den ganzen Nachmittag. Was hat Jesus ihnen in all diesen Stunden mitgeteilt? Darüber schweigt der Evangelist, genau wie auch die meisten von uns ihre Gotteserfahrung innerlich bewahren. Auf jeden Fall wissen wir, dass sie von Jesus und seiner Botschaft überzeugt waren. Sie ließen ihre Gewohnheiten, ihren Beruf, ihre Familie zurück, um mit Jesus zu bleiben, um ihm zuzuhören, um seine Botschaft in die Welt zu tragen. Doch als erstes gingen sie hin, ihre Freunde, ihre Brüder zu überzeugen, sie sollten doch mitkommen. „Wir haben den Messias gefunden“, auf den das ganze Volk seit Jahrhunderten wartet.
Diese Erzählung zeigt uns die verschiedenen Etappen der christlichen Berufung. Auch heute ist die Berufungserfahrung an die Frage gebunden: was will ich aus meinem Leben machen? Was wird meinem Leben Sinn und Halt geben? Die Begegnung mit Jesus in den Evangelien oder in einer christlichen Gemeinschaft öffnet neue Perspektiven. Diese zu entdecken und zu ergründen, bei ihm zu verweilen, braucht Zeit, Verfügbarkeit und Sehnsucht, sich auf sein Wort einzulassen, um an seiner Aufgabe teilzunehmen.
Die christliche Berufung ist immer eine Einladung, wie Jesus, ganz in Gott zu leben, und wie Jesus ganz den Menschen, besonders den Bedürftigen, zugewendet zu sein.