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Was meint Jesus, wenn er vom Reich Gottes spricht? Oder anders gefragt: worum beten wir im Vater Unser?
Kommentar zum 11. Sonntag von Sr. Danièle Faltz (13.6.2021)
Gibt es nicht in unserem Glauben Worte, Begriffe, die immer wieder vorkommen und die wir kaum jemals hinterfragen? Wenn wir aber konkret sagen sollen, was es damit auf sich hat, sind wir in Erklärungsnot.
So geht es mir mit dem Begriff „Reich Gottes“. Das Wort vom Reich Gottes ist zentral in der Verkündigung Jesu. Schriftkundige Leute haben herausgefunden, dass der Begriff mehr als 120 Mal im Neuen Testament vorkommt. Er kommt auch als zentrale Bitte im Vater Unser vor: „Dein Reich komme“.
Jesus gibt keine klare, definitive Auskunft über das Reich Gottes, er gebraucht Bilder, Gleichnisse, um zu umschreiben, wie das mit dem Reich Gottes ist. So werden wir es auch an diesem Sonntag wieder hören: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie mit einem Mann, der Samen auf seinen Acker sät; es wird Nacht und es wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Das Reich Gottes gleicht einem Senfkorn. Dieses ist das kleinste von allen Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige.
Was meint Jesus, wenn er vom Reich Gottes spricht? Oder anders gefragt: worum beten wir im Vater Unser?
Da Jesus keine direkte Erklärung gibt, ist jeder von uns gefordert, eine ganz persönliche Antwort auf diese Frage zu geben. Hier mein Versuch :
Das Reich Gottes ist überall dort, wo Gottes Gesetze gelten, wo sein Wort ernst genommen wird, wo nach seinem Willen gelebt wird. Das Reich Gottes ist also zuallererst sichtbar im konkreten Menschen Jesus von Nazareth. Von seinem Leben können wir ablesen, wie ein Leben nach Gottes Maßstab aussieht, wie wir selbst einmal sein möchten, in den Augen Gottes, und wie unser Leben in seiner Gemeinschaft zur Vollendung kommen wird.
Das Reich Gottes ist also dort, wo Menschen leben, handeln, sprechen, beten wie Jesus. Ich stelle mir vor, dass der Samen vom Reich Gottes bei der Taufe in unser Herz gelegt wurde als gute Anlage zu wahrhaft menschlich-und göttlichen Haltungen wie Liebe, Gerechtigkeit, Zuwendung. In der Erziehungsarbeit erlebt man nicht selten in einem Kind, in einem jungen Menschen das Wachsen dieser guten Anlagen. So wie der Sämann nicht begreift, wie der Samen keimt und wächst, so wundern sich Eltern und Erzieher auch manchmal, wie sich im jungen Menschen der gute Samen zur reichen Frucht entwickelt. Es genügt, dieses Wachsen staunend und dankbar zu begleiten.
Das Reich Gottes ist demnach auch das Wirken Gottes in unserem Leben. Sein Handeln ist diskret und lebenspendend. So bin ich immer wieder tief berührt, wenn eine meiner Mitschwestern stirbt und wir auf ihr Leben zurückblicken und feststellen: trotz Schwachheit und menschlicher Verfehlungen, hat Gott in diesem Leben Großes getan, alles Schöne, Wertvolle überwiegt. Auch wenn es nur im Kleinen bemerkbar ist, so wie im kleinen Senfkorn, so spüren wir doch: hier war mehr als nur das Menschliche, hier war Gottes Gnade am Werk. Oder anders gesagt: in dieser Lebensgeschichte haben Gott und Mensch zusammen „Reich Gottes“ geschaffen.
Das Reich Gottes ist auch Wirken Gottes in der Welt. Leider sehen wir oft nur die Probleme. Aber es gibt zahllose Bemühungen um Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung. Es gibt die vielen uneigennützigen Einsätze der Menschen in den zwischenmenschlichen Beziehungen und es gibt die mutigen Anstrengungen, Strukturen der Macht und der Ausbeutung zu durchbrechen und dem Menschen seine von Gott geschenkte Würde zu erhalten. Egal aus welcher Richtung solche Bemühungen kommen, wir dürfen sie dem göttlichen Wirken zuordnen und darin das Wachsen einer Welt nach Gottes Wunsch erkennen.
Dabei sollten wir bedenken, was Jesus ausserdem im Kontext des Gottesreiches sagt: Das Reich ist schon da und greifbar nah im Menschen Jesus und in den vielen, die nach seinem Evangelium leben, und dennoch erst im Kommen, in unseren gemeinsamen Bemühungen um eine geschwisterliche Welt.