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Sünde hinwegnehmen und Heil gewähren
Kommentar zum 1. Sonntag im Jahreskreis von P. Jean-Jacques Flammang SCJ (19.01.2020)
Sünde bedeutet Trennung; Heil dagegen, Ganzheit. Und beide spielen in unserer Gesellschaft, auch in unserm Leben, eine wichtige Rolle.
Im biblischen Griechisch bedeutet das Wort Sünde „das Ziel verfehlen“.
Verfehlen will nicht sagen, nicht erreichen. Man kann ein Ziel nicht erreichen, wie im Sport zum Beispiel. Dabei wusste man sehr wohl, was das Ziel war, hatte man sich doch lange auf den Wettkampf vorbereitet; nur hat man das Ziel nicht erreichen können, aus welchen Gründen auch immer.
Sünde dagegen ist, das Lebensziel verfehlen. Also etwas ganz anderes. Hier steht das Ziel selbst auf dem Spiel. Es wird nicht wahrgenommen, aus welchen Gründen auch immer, und weil man es nicht kennt oder verdrängt, kann man sich auch nicht darauf einstellen. Man verfehlt es, und das bedeutet, im biblischen Sinne, Sünde.
Um zu merken, dass man ein Ziel nicht erreicht hat, ist man nicht unbedingt auf andere angewiesen. Beim Verfehlen des Lebenszieles dagegen, sind es meistens die andern, die es besser und schneller merken als man selber.
Es gibt Menschen, die einen scharfen Blick dafür haben, Sünde bei ihren Mitmenschen zu erkennen. Weniger zahlreich sind jene, die wie Johannes der Täufer, die Sünde der Welt allgemein wahrnehmen. „Wenn ihr so weiterlebt, verfehlt ihr das Ziel der Welt. Kehrt also um und lasst euch taufen.“ So ähnlich ruft er den Menschen zu, die gekommen waren, sicher weil sie irgendwie erkannt hatten, dass ihnen etwas fehlt und dass sie in eine unheilvolle Trennung geraten waren, Verweis auf das Verfehlen des Lebensziels – also auf die Sünde der Welt.
Sich dieser Sünde bewusstwerden, heißt noch nicht, sie hinwegnehmen und Heil gewähren. Dafür muss sogar Johannes der Täufer auf einen andern verweisen, auf Jesus, „das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“.
Mit Jesus wird klar, dass die Welt, allein auf sich gestellt von Gott getrennt, ihr Ziel verfehlt. Zu handeln und zu leben, „als ob es Gott nicht gäbe“ - „sicut Deus non daretur“ - wie die moderne Philosophie und Spiritualität lehrten, ist sicher nicht der richtige Weg. Er trennt die Welt von ihrem Lebensziel und nimmt die Sünde nicht hinweg.
Mit Jesus wird das anders: als Lamm Gottes verbindet er uns mit Gott und hebt somit die Trennung auf. Verbunden mit ihm, verfehlen wir das Lebensziel nicht.
Zum Beginn des neuen Jahres hilft uns Papst Franziskus, dieses Ziel neu ins Auge zu fassen. Er spricht dabei von einer „ökologischen Umkehr“. Er erwähnt dabei nicht irgendeinen menschengemachten Klimawandel, sondern „führt uns zu einem neuen Blick auf das Leben. Dabei betrachten wir die Freigebigkeit des Schöpfers, der uns die Erde geschenkt hat und zur frohen Genügsamkeit des Teilens mahnt. Eine solche Umkehr ist ganzheitlich zu verstehen, als eine Veränderung unserer Beziehungen zu unseren Schwestern und Brüdern, zu den anderen Lebewesen, zur Schöpfung in ihrer so reichen Vielfalt und zum Schöpfer, dem Urgrund allen Lebens.“ Damit sind Ganzheit und Heil neu angesagt, ganz im Sinne von Jesus, der die Sünde der Welt hinwegnimmt.
Quelle: Luxemburger Wort