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Es ist Zeit...
Kommentar zum 1. Advent von Henri Hamus (1.12.2019)
Mein Wecker hat eine "snooze"-Funktion, eine Schlummertaste. Klingelt er morgens, und ich möchte noch ein paar Minuten im Bett bleiben, betätige ich diese Taste; nach etwa 8 Minuten klingelt der Wecker erneut. Dank dieser Taste kann ich noch etwas länger schlafen – und kann doch nicht verschlafen. Schlafforscher allerdings warnen vor diese Schlummerfunktion: der Schlaf sei von schlechter Qualität, und man fühle sich nachher eher wie gerädert statt ausgeschlafen.
Seid wachsam, mahnt Jesus. Und Paulus schreibt: es ist Zeit, aufzustehen; der Tag ist nahe! Am Anfang des neuen Kirchenjahres, am 1. Adventssonntag klingelt der Wecker. Das Aufstehen fällt so schwer. Manche Schläfrigkeit hat sich unser bemächtigt. So vieles wartet auf uns, und nicht nur Erfreuliches. Wir spüren die Lust, auf die Schlummertaste zu drücken; noch ein bisschen weiterschlafen - aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben...
Mancher wird dann kurz vor Weihnachten merken, dass er den Advent verschlafen hat.
Der französische Denker Blaise Pascal (1623-1662) schreibt in seinen Pensées (553): "Jesus wird bis zum Ende der Welt im Todeskampf liegen; während dieser Zeit darf man nicht schlafen". Wir dürfen nicht schlafen, tun als ob, das was in Welt und Kirche geschieht, uns nichts angeht! Es ist höchste Zeit, aufzuwachen und wach zu bleiben. Es ist höchste Zeit, die Augen zu öffnen für die Menschen hier und heute; nur ein offener, mitfühlender und liebender Blick kann erkennen, wie es ihnen geht.
Das Evangelium spricht von Weltuntergang. Ja, diese Welt wird vergehen. Gott hat Größeres mit seiner Schöpfung und seiner Menschheit vor. Zur Zeit Jesu erwartete man die große Veränderung in naher Zukunft. Mit der Zeit ging diese Erwartung verloren, auch die Christen haben sich in dieser Welt eingerichtet. Aus der großen Enderwartung sind kleine Erwartungen und Mini-Hoffnungen geworden. Und der Schwung für Neues ist erlahmt. Und weil man von Gott kaum kraftvolles Eingreifen zum Besseren seiner Welt erwartet, erlahmt in uns selber alles revolutionäre und alternative und befreiende Handeln zugunsten der Unterdrückten der Gegenwart.
"Weg mit den Schlafmützen und raus aus den bequemen Pyjamas", kommentiert jemand das Wort des Paulus "der Tag ist nahe". Schlummertaste hin oder her. Es ist Zeit aufzustehen. Es gibt Wesentlicheres zu tun als noch ein bisschen auszuruhen. Es gilt, den Mund aufzumachen und all das verschleiernde Herumgerede zu beenden. Auch in der Kirche! Warum soll denn nichts anders werden? Nur weil es immer schon so war? Nur weil es manchen Ewig-Gestrigen nicht passt? Nur weil wir Angst vor Bewegung und Neuem haben? Das 2. Vatikanische Konzil wurde möglich, weil Johannes XXIII. die Fenstern aufriss und den frischen Wind des Heiligen Geistes herein ließ in die Kirche! Warum soll die Amazonassynode vom letzten Oktober nicht der Anfang von Neuem sein? Von einer erneuerten Orientierung der Kirche an den Fragen, Bedürfnissen und Nöten der Menschen von heute?
Wenn Christen sich wecken lassen und aufstehen und den Armen und Kleingemachten ihre Stimme leihen und helfende Hände reichen, kann der adventliche Weckruf die Verantwortlichen in Kirche und Welt erreichen - und Advent kann der Anfang von Neuem werden ...
Quelle: Luxemburger Wort